Der Anschlag der Dschihadisten in Katalonien war der Schock, den die Experten erwartet hatten. Nicht für den Tag, nicht im Detail, nicht mal unbedingt in diesem Sommer. Aber für irgendwann bald. Die Zeit war eigentlich reif.

"Sie haben damit gerechnet", sagt ein spanischer Beamter, der solche Überlegungen von innen kennt.  Zu viel hatten diejenigen, die in Spanien für die Abwehr solcher Gefahren zuständig sind, schon verhindert. Zu viel wussten sie über die fanatische Energie, mit der der "Islamische Staat" seinen Krieg gegen den Westen plante. Sie hatten es kommen sehen, damit gerechnet. Sie hatten gewartet. Und täglich versucht, das Erwartete zu verhindern.

Insofern hatte die Tragödie von Barcelona und Cambrils für die Experten ihre mörderische Logik. Und so makaber es angesichts des damit ausgelösten Leids auch klingen mag: Hätte es womöglich noch schlimmer kommen können? Einen Tag vor dem Anschlag gab es in einem Privathaus in Alcanar eine zunächst rätselhafte Explosion. Zwei Tote. Einige Gasflaschen waren detoniert. Die Polizei stieß auf einen größeren Vorrat. Die Explosion war offenkundig ein Unfall.

Aber ein Unfall wobei? Wozu all diese Gasbehälter? Der Verdacht liegt nahe: Da sollten Bomben gebastelt werden – die berüchtigten IEDs (Improvised Explosive Devices), die selbst gebauten Explosivkörper, deren Herstellung bei dem IS zur Ausbildung gehören. Was war da geplant? Nun fragt man auch: Waren die Attentate vom 17. August nur eine Ersatzhandlung? Überstürzt und überhastet, schrecklich, aber mindestens eine Dimension kleiner als das, was da eigentlich vorbereitet werden sollte? Die Aufklärungsarbeit dazu ist im Gange.

Die Zuständigen für Spaniens Sicherheit waren mental jedenfalls nicht unvorbereitet. Ein Diplomat erinnert im Gespräch daran: In Spanien hat der islamistische Terror nach dem amerikanischen 11. September zum ersten mal in Europa zugeschlagen, in Madrid am 11. März 2004. Sprengstoffanschläge in drei Regionalzügen. Die Folge: 192 Tote, mehr als 1.400 Verletzte. Was die Zahl der Opfer angeht, der bisher schwerste Terroranschlag in Europa.

Hoher Anteil an Dschihadisten

Wenn man sich in das menschenverachtende Hassdenken der Terrorplaner des IS einfühlt, konnte man schon auf den Verdacht kommen, jetzt sei Spanien wieder dran. Nach Brüssel und Paris, London und Stockholm, Berlin und Nizza. Und welche andere Weltstadt böte sich in dem Fall an als Barcelona, dieses mediterrane Vorzeigemodell westlich-urbaner Lebensart? Beliebt und viel besucht von Touristen aus aller Welt, so sehr, dass in diesem Sommer aggressive Proteste der Einheimischen gegen die Masseninvasion weltweit zur Nachricht geworden waren.

Barcelona ist die Hauptstadt der Region mit dem seit 2012 größten Anteil an Dschihadisten in der Bevölkerung. Hier gab es in diesem Jahrzehnt die meisten Polizeiaktionen gegen spanische Moslems, die terroristischer Aktivitäten verdächtigt und festgenommen wurden. In der einschlägigen Polizeistatistik liegen für denselben Zeitraum innerhalb Spaniens nur die beiden spanischen Exklaven in Marokko gleich hinter Katalonien: Ceuta und Melilla. Die Marokkaner dieser beiden Miniregionen sind spanische Staatsbürger. Sie können sich im Königreich frei bewegen. Für IS-Werber sind sie bevorzugte Ansprechpartner. Anders gesagt: Sie sind ein Problem. Einer der mutmaßlichen Täter der beiden Anschläge vom 17. August stammt aus Melilla.

Wurden genug Sicherheitsvorkehrungen getroffen?

Unter den für Sicherheitsfragen zuständigen Behörden Spaniens ist die latente Terrorismusgefahr also ein ständig präsentes Thema gewesen. Aber hat man daraus die nötigen Konsequenzen gezogen?

Natürlich wird jetzt auch die Frage diskutiert, ob genug an Vorkehrungen getroffen wurden. Warum errichtet man jetzt erst Zufahrtssperren vor Straßen und Plätzen, in denen größere Menschenmengen die Regel sind? Da und dort gab es in letzter Zeit immerhin besondere Maßnahmen, ohne große Ankündigungen. Beim jüngsten Supercup-Finale  – Real Madrid gegen Barcelona – wurde in Madrid der Verkehr auf der Hauptstraße, die am Stadion vorbeiführt,  auf Nebenstraßen umgeleitet: Die unvermeidlichen Menschenmengen vor der Anlage wären für Vollgasattentäter nicht erreichbar gewesen.