Francesco Formentin sitzt auf der Terrasse seines Hauses in Norditalien. Er lebt dort zurückgezogen mit seiner Frau ein ruhiges Rentnerdasein. Ein milder Nachmittag, der Blick geht über Berge und weiten Himmel. Bei Kaffee und Grappa erzählt Formentin von seiner Vergangenheit. Er war Prokurist in einer Firma – einer Tarnfirma des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), wie er sagt. 

Seit vielen Jahren hat der BND ein ehrgeiziges und beunruhigendes Ziel: Gesprochene Sprache durchsuchbar, analysierbar zu machen, sie automatisiert zu übersetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden Firmen und Technologien gekauft und Experten eingestellt. Bezahlt mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt. Zusätzlich ließ sich der BND diesen Überwachungstraum unter anderem von der Europäischen Union finanzieren.

Eine von Formentins früheren Firmen ist Teil dieses Projektes. GMS, die Abkürzung steht für Gesellschaft für multilinguale Systeme, ist ein Ableger des BND.

GMS, Anfang der neunziger Jahre in Berlin gegründet, beschäftigte sich ursprünglich mit der maschinellen Übersetzung von Texten. Die zugrunde liegende Software hatte Siemens in den achtziger Jahren aus einem wissenschaftlichen Projekt weiterentwickelt, die Entwicklung aber eingestellt und die Software verkauft. GMS integriert die Software in ein Produkt namens T1, das Langenscheidt für sein Deutsch-Englisch-Wörterbuch nutzt. 

Formentin sagt, GMS sei eine Tarnfirma. Einer der Gründungsvorstände des Unternehmens war Bernard Olthues, ein BND-Agent, der lange unter dem Decknamen "Pamos" im Libanon stationiert war. Ein Mann namens Stephan Bodenkamp hat ebenfalls bei GMS gearbeitet. Gleichzeitig tauchte Bodenkamp beim Amt für Auslandsfragen auf, einer getarnten Behörde des BND.

"Der Bodenkamp war vom BND, der Olthues war vom BND. Der einzige, der nicht vom BND war, war ich. Ich war wie der Faden, an dem man das hängen lassen hat, damit das seine Richtigkeit hat", sagt Formentin. Er erzählt, dass er damals Finanzchef und Geschäftsführer von Partnerfirmen wurde, um die Rolle des BND zu verschleiern. 

Später, so Formentin, wurde aus der GMS die Firma Sail Labs. Die gesamte anfängliche Finanzierung von GMS und Sail Labs sei vom BND übernommen worden, sagt Formentin. Private Einnahmen hätten keine Rolle gespielt. Er erzählt, es hätte eine Anschubfinanzierung von vier bis fünf Millionen D-Mark gegeben. Damit habe der BND in den neunziger Jahren gezielt die Sprachtechnologie ausbauen wollen. Der Nachrichtendienst tat das, um die Technik für seine Einsatzbereiche aus- und weiterzuentwickeln, sagt Formentin.

Industrieförderung

Doch der BND wollte nicht nur sein eigenes Geld einsetzen, um die Sprachüberwachungssoftware zu entwickeln. Er holte sich Hilfe bei der EU. Und das gleich mehrfach.

In den vergangenen zehn Jahren hat die Europäische Union Milliarden Euro in die Erforschung von Sicherheitstechnik investiert. Mit der Begründung, Europa sicherer machen zu wollen, wurden die Forschungsprogramme FP7 Security und Horizon 2020 Secure Societies aufgesetzt und Tausende Projekte gefördert. Der Nutzen ist zweifelhaft, aus den meisten Ideen ist nie ein Produkt geworden, das der Verbesserung der Sicherheit nützt. Der EU-Kommission scheint es weniger um Sicherheit zu gehen, als darum, eine neue Industrie aufzubauen. Dass man keine Probleme damit hat, dabei auch Geheimdienste zu unterstützen, zeigen die Deals mit dem BND.

Bereits von 1998 bis 2000 hatte die EU Geld in ein Sprachprojekt des Geheimdienstes gesteckt. 2,1 Millionen Euro waren das damals. Das Projekt hieß Sensus und endete mit einer Demoversion. Projektkoordinator des EU-Projekts war damals der BND-Mann Stephan Bodenkamp. Eine der BND-Tarnfirmen hatte ihren Hauptsitz sogar im Büro des EU-Projekts. Für die Europäische Union war es anscheinend kein Problem, dass ein BND-Agent gleichzeitig EU-Projekte koordinierte. Die Förderung sorgte damals jedoch an anderer Stelle für Ärger. Eine Firma aus dem Projekt beschuldigte Bodenkamp, einen Vertrag gefälscht zu haben, wodurch es dem Unternehmen unmöglich geworden sei, die Ergebnisse zu vermarkten. Bodenkamp wurde wegen Urkundenfälschung verurteilt. Im Urteil stand sein Klarname: Christoph Klonowski.

Jeden anhand seines Sprachabdrucks finden

Seit 2014 wird die Analyse gesprochener Sprache wieder von der EU gefördert. Dieses Mal unter dem Projektnamen SIIP, die Abkürzung für Speaker Identification Integrated Project. Gesamtfördersumme: 10,5 Millionen Euro.

Das SIIP-Projekt will mithilfe eines Sprachabdrucks, einem kurzen Stimmmuster ähnlich einem Fingerabdruck, Telefonate durchsuchen und Menschen finden. Der gesamte Telefonverkehr soll so durchsuchbar werden. Jede Person, egal wo sie in welches Telefon spricht, soll innerhalb von Sekunden anhand ihres Sprachabdrucks identifizierbar sein.

Offiziell wird die Sprachtechnologie im SIIP-Projekt für Kriminalbehörden wie Europol oder das Bundeskriminalamt erforscht. Das BKA ist auch einer der Projektpartner. Doch findet sich in der Liste auch ein Unternehmen namens Sail Labs, an das die EU demnach 512.586 Euro überwiesen hat. 

Das Geld ging dieses Mal jedoch nach Wien. Denn Sail Labs wurde 2001 aufgespalten. Das Wiener Unternehmen teilte auf Anfrage mit, dass man seit 2001 unabhängig von der Gründungsgesellschaft und nicht mit dem BND verbunden sei. Ob und welche der aus der BND-Zeit erworbenen Patente man innehabe, teilte man nicht mit. Entwickelte Produkte ähneln sich bis heute.