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  4. Edith Wilson: US-Präsidentin – fast 100 Jahre vor Hillary Clinton

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Sorry, Hillary! Eine US-Präsidentin gab’s schon mal

Ein Bild aus dem Jahr 1919: US-Präsident Woodrow Wilson (1856–1924, l.) und seine Frau Edith, die für ihn die Stellung im Oval Office hielt Ein Bild aus dem Jahr 1919: US-Präsident Woodrow Wilson (1856–1924, l.) und seine Frau Edith, die für ihn die Stellung im Oval Office hielt
Ein Bild aus dem Jahr 1919: US-Präsident Woodrow Wilson (1856–1924, l.) und seine Frau Edith, die für ihn die Stellung im Oval Office hielt
Quelle: Getty Images
Hillary Clinton setzt bei ihrer Kandidatur auf die Gender-Karte und will „als erste Frau“ ins Oval Office. Zu spät, denn 1920 regierte eine Dame die USA – ohne Anerkennung und ohne Wählerstimmen.

Wir schreiben das Jahr 1920. Eine kräftige Frau mit rundem Gesicht im langen dunklen Kleid eilt mit energischen Schritten durchs Weiße Haus, im Arm Briefe und Akten. Am Eingang versucht ein Häuflein Journalisten mit griffbereiten Notizblöcken, einen Blick auf die Person zu erhaschen, die hier regiert: auf sie.

Verzeihung, Frau Clinton, aber die erste faktisch regierende Präsidentin Amerikas – die gab es schon. Dreißig Jahre vor Hillary Clintons Geburt leitete Edith Wilson, die zweite Frau Woodrow Wilsons, das Oval Office – 17 Monate lang. Niemand hatte sie gewählt, nie nannte sie sich Präsidentin. Trotzdem übernahm sie viele Regierungspflichten, nachdem ihr Mann sie nach einem schweren Schlaganfall nicht mehr wahrnehmen konnte.

Hillary Clinton – „Das war ein Fehler“

Hillary Clinton hat sich erstmals für die dienstliche Nutzung ihres privaten E-Mail-Anschlusses entschuldigt. Die Affäre ist für ihre Präsidentschaftskandidatur zu einer zunehmenden Belastung geworden.

Quelle: Reuters

Damals war – anders als heute – in der Verfassung nicht geregelt, was passiert, wenn der Präsident seine Pflichten nicht mehr ausüben kann. Es gab keinen Mechanismus, der die Macht automatisch an den Vizepräsidenten übertragen hätte.

Die Sache wurde noch komplizierter dadurch, dass Wilsons Vizepräsident Thomas R. Marshall wenig Ehrgeiz zeigte. Auch als Wilson gelähmt und mit Gedächtnisverlust im Bett lag, weigerte er sich heftig, dessen Pflichten zu übernehmen – aus Angst vor Attentaten.

Fast keine Schulbildung, aber Verstand und Pflichtgefühl

Das Werk Wilsons drohte zu zerfallen. Angesichts dessen und nach dem Ratschlag von Wilsons Arzt – der fürchtete, bei Verlust des Amtes würde Wilson seinen Lebenswillen verlieren – nahm die First Lady die Sache selber in die Hand. Nicht etwa aus politischem Ehrgeiz, sondern aus Liebe. Sie und ihr künftiger Mann waren beide verwitwet, verliebten sich rasch ineinander und heirateten 1915 nur drei Monate nach ihrem ersten Zusammentreffen. Edith Bolling Galt, die Tochter verarmter Landbesitzer aus Virginia, war 14 Jahre jünger als Woodrow und war nur zwei Jahre zur Schule gegangen. Aber sie besaß einen scharfen Verstand und starkes Pflichtgefühl.

US-Präsident Woodrow Wilson mit seiner First Lady Edith
US-Präsident Woodrow Wilson mit seiner First Lady Edith
Quelle: © CORBIS

Bevor die USA 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten, beschränkte sich ihre Rolle darauf, Gesellschaften zu geben. Doch als der Krieg andauerte, wurde aus der Gastgeberin eine engagierte Helferin, die bei den staatliche Rationierungsanstrengungen half und „Gasless Sundays“, „Meatless Mondays“ und „Wheatless Wednesdays“ einhielt: Sonntags wurde kein Gas verbraucht, montags gab es kein Fleisch und Mittwochs keinen Weizen.

Nach dem Schlaganfall ihres Mannes übernahm sie die gesamte ein- und ausgehende Korrespondenz des Präsidenten – der bettlägerig, aber geistig hellwach war – und gab seine Anweisungen weiter, Unterstützung für den Versailler Vertrag zu organisieren und auf die Firma Carnegie Steel einzuwirken, damit der für das Land ruinöse Stahlarbeiterstreik ein Ende fände. Sicher waren ihrem Handeln Grenzen gesetzt; sie gab nie zu, Regierungsentscheidungen getroffen zu haben. Betty Van Iersel, Wissenschaftlerin und Fremdenführerin im Wilson-Wohnhaus, sagt dazu: „In ihrer Autobiografie erwähnt sie nur, dass sie ihn gepflegt und sich mit seinem Arzt abgesprochen habe“; alles weitere sei „reine Spekulation“.

Edith sorge in einer sehr kritischen Zeit für Stabilität
Andrew Phillips, Kurator der Woodrow-Wilson-Gedächtnis-Bibliothek

Doch dass Edith Wilson erheblichen Einfluss auf die Staatsgeschäfte hatte, blieb nicht verborgen. Kongressmitglieder beschwerten sich und nannten Wilsons zweite Amtszeit „Präsidentschaft im Unterrock“; Zeitungen schrieben von der „Präsidentschaft in Regentschaft“. Doch es gab auch Lob: Dolly Gann, die für eine Republikanische Zeitung schrieb, rühmte Ediths Arbeit zum Wohl des Landes. Die „Daily Mail“ aus London nannte sie sogar „eine perfekte Präsidentin“. Amtliche Berichte bestätigen ebenso wie Zeitgenossen, dass ihre Rolle weit über die einer bloßen Pflegerin hinausging. Als der US-Kongress dem Versailler Vertrag zustimmen musste, um den Krieg zu beenden, war sie Augen und Ohren des Präsidenten. Andrew Phillips, Kurator der Woodrow-Wilson-Gedächtnis-Bibliothek, sagt, alles hätte sehr viel schlimmer ausgehen können, wenn im US-Kabinett offene Machtkämpfe ausgebrochen wären. Er fügt hinzu: „Edith sorge in einer sehr kritischen Zeit für Stabilität.“

Nach dem Ende von Wilsons Amtszeit 1921 ging das Ehepaar in den Ruhestand. Es blieb in Washington D. C., wo Wilson drei Jahre später starb. Ediths Einsatz in seinem Sinne jedoch ging weiter. Sie blieb im gemeinsamen Haus wohnen und ließ einige der Zimmer genauso erhalten wie zu seinen Lebzeiten; sie durften nicht renoviert werden. Sie warb für Spenden an Organisationen, die seine Botschaft lebendig hielten.

Edith Wilson starb am 28. Dezember 1961. Es war der Geburtstag Woodrow Wilsons, des Mannes, den sie liebte und dem sie zur Seite gesprungen war.

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