Man müsse Russland "in eine internationale Verantwortungspartnerschaft einbinden", erklärte Frank-Walter Steinmeier im Sommer. Unter anderem gegen den radikalen Islamismus im Nahen Osten. Als der deutsche Außenminister das sagte, hatten russische Kampfpiloten bereits mehr als 1.300 Zivilisten getötet. Mittlerweile sind mindestens 3.000 unbewaffnete Syrer durch russische Bomben gestorben. Seit Beginn der Intervention vor genau einem Jahr hat Russland systematisch zivile und medizinische Infrastruktur dem Erdboden gleichgemacht, skrupellos international geächtete Waffen eingesetzt, zur weiteren Radikalisierung der Rebellen beigetragen und der Assad-Diktatur den Rücken freigehalten.

Selbst wenn man nur Russlands eigene vorgebliche Ziele heranzieht, um die Intervention zu beurteilen, sieht die Bilanz düster aus: Mit Ausnahme des brillant inszenierten Sieges gegen den "Islamischen Staat" in der antiken Wüstenstadt Palmyra kann Russland nur überschaubare Erfolge in seinem "Krieg gegen den Terror" vorweisen. Russland wollte gegenüber dem Assad-Regime ein Ende der Bombardements ziviler Gebiete mit geächteten Fassbomben erreichen, nennenswerte Schritte in Richtung einer Übergangsregierung durchsetzen und humanitären Zugang zu belagerten Gebieten für Hilfsorganisationen ermöglichen – von diesen Versprechen ist ein Jahr nach der Offensive nichts geblieben.

Im Gegenteil: Der Krieg ist in einem unerträglichen Maße weiter eskaliert. Aufgrund der russischen Luftunterstützung sind zuvor erkaltete Fronten wie etwa jene in Aleppo wieder Orte brutaler Kämpfe und Bombardements geworden. Während die russische Luftwaffe das, was von der Metropole Aleppo noch übrig ist, aktuell aus der Luft in Schutt und Asche legt, steigt die Zahl der Todesopfer so stark an wie noch nie zuvor im syrischen Konflikt.

So kann der Krieg auf ewig weitergehen

Nicht trotz, sondern wegen der russischen Intervention kann das Assad-Regime nach wie vor zu einer seiner brutalsten Waffen greifen: Hunger! Über eine Million Menschen werden derzeit in Syrien vom Regime und seinen verbündeten Milizen belagert. Die Bilder der verhungerten Menschen aus Madaja liefen drei Monate nach der russischen Intervention weltweit über die Bildschirme. Der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura warnte erst vergangene Woche davor, dass sich in Aleppo Selbiges in hundertfachem Ausmaß wiederholen könnte. Diese Belagerungen und die Kriegsführung Russlands und des Assad-Regimes bescheren derweil den dschihadistischen Gruppen jenseits des IS immer größeren Zulauf. Denn angesichts des Versagens der UN und der Brutalität des Assad-Regimes und Russlands können sich die dschihadistischen Kämpfer als einzige verbliebene Beschützer der Zivilbevölkerung inszenieren.

Nicht zuletzt hat die russische Intervention maßgeblich zu einer weiteren Internationalisierung des Konfliktes beigetragen: Saudi-Arabien und Katar werden ihre Waffenhilfe an radikale Gruppen, die den Krieg seit Langem befeuern, aufgrund der russischen Unterstützung für Assad noch einmal deutlich intensivieren. Auch die Türkei hat interveniert und geht nun, in Absprache mit Russland, mit eigenen Bodentruppen gegen den IS und die Truppen der kurdischen Selbstverwaltung vor. Dies und die fortlaufenden Verkündigungen des Assad-Regimes, jeden Flecken Syriens zurückerobern zu wollen, lassen befürchten, dass der Krieg auf ewig so weitergeht.

Angesichts der Internationalisierung braucht der Konflikt eine internationale Lösung. Der Kreml hat mit seiner Intervention vor allem dafür gesorgt, dass eine solche ohne ihn unvorstellbar geworden ist. Ohne Russland, das ist allen Beteiligten klar, geht gar nichts – kein Waffenstillstand, keine Flugverbotszone, keine humanitären Hilfslieferungen.