ZEIT ONLINE: Stuttgart schließt künftig an Tagen mit überhöhten Feinstaubwerten alle Dieselautos aus, die die Abgasnorm Euro 6 nicht erfüllen. Das trifft auch Menschen, die erst vor zwei Jahren ein neues Auto gekauft haben. Frau Krautzberger, verstehen Sie die Wut dieser Autobesitzer?

Maria Krautzberger: Die verstehe ich vollkommen. Es ist ärgerlich, dass das Problem auf dem Rücken der Autofahrer ausgetragen wird. Die Automobilindustrie duckt sich weg. Ich finde es unerträglich, dass sie keinen Fonds auflegt und damit den Kommunen finanziell hilft, das Abgasproblem in den Innenstädten anzugehen. Die Hersteller haben den Städten schließlich das Problem mit der schlechten Luft maßgeblich mit eingebrockt.

ZEIT ONLINE: Um das Problem anzugehen, hatte die Umweltministerkonferenz eigentlich schon die Einführung einer Blauen Plakette beschlossen, die das Fahren in den Umweltzonen verschärft. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat den Beschluss wieder einkassiert. War das eine Niederlage für Bundesumweltministerin Barbara Hendricks?

Kurz erklärt - Wie sauber sind Elektroautos? Für Elektroautos will die Bundesregierung eine Kaufprämie von 4.000 Euro einführen. Doch zu hundert Prozent umweltfreundlich sind die Fahrzeuge nicht.

Krautzberger: Der Entwurf liegt immer noch im Verkehrsministerium und dort reagiert man leider nicht darauf. Eine Niederlage sehe ich nicht, denn die Mehrheit der Städte fordert eine solche Plakette. Und der Druck wächst: Die EU hat ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, und Gerichte haben schon Zwangsgelder gegen Kommunen angeordnet. Ich bin sicher, dass die Plakette kommen wird. Allerdings ist die Blaue Plakette nur eine Maßnahme in einem Bündel. In den großen Städten muss auch der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden.

ZEIT ONLINE: Woher sollen die Kommunen das Geld dafür nehmen?

© Umweltbundesamt

Krautzberger: Der Bund muss die Kommunen viel stärker finanziell unterstützen. Vergleichen Sie mal: Zur Förderung des ÖPNV in den Städten sieht das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz jährlich rund 330 Millionen Euro vor. Zugleich subventioniert der Staat den Diesel mit sieben Milliarden Euro pro Jahr. Insgesamt haben wir rund 28 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen im Verkehr ausgemacht. Für einen attraktiven, hochwertigen ÖPNV brauchen wir rund elf Milliarden Euro pro Jahr. Die erforderlichen Mittel wären also verfügbar.

ZEIT ONLINE: Der Staat fördert den Diesel, weil man sonst die Klimaschutzziele nicht erreichen kann, heißt es. Stimmt das nicht?

Krautzberger: Leider nein. Die Wirkung des Diesels für den Klimaschutz wird völlig überschätzt. Die durchschnittlichen CO2-Emissionen der neu zugelassenen Diesel-Pkw in Deutschland liegen sogar leicht höher als die der Benziner. Der Anteil der Geländewagen und SUV ist enorm gestiegen. Die Autoindustrie nutzt den Diesel vor allem, um hochmotorisierte Autos im Markt zu halten. Das hat den CO2-Vorteil des Diesels komplett kompensiert. Der SUV-Boom beweist, dass die Dieselsubventionen falsch sind. Sie schaffen lediglich den Anreiz, überdimensionierte Fahrzeuge mit höherem Verbrauch zu kaufen. Dadurch hat man für die Umwelt nichts gewonnen.

ZEIT ONLINE: Das Elektroauto erfüllt offenkundig noch nicht die Bedürfnisse, die der Bürger an ein Auto stellt – sonst würde es von mehr Menschen gekauft. Sollten wir es nicht dem Markt überlassen, ob sich ein gutes Produkt auch durchsetzt?

Krautzberger: Deutschland hat sich bewusst Klimaschutzziele auferlegt, die wir wegen der Erderwärmung erreichen müssen. Dazu müssten in Deutschland bis 2030 rund zwölf Millionen Elektrofahrzeuge unterwegs sein – aktuell fahren 25.000 Elektrofahrzeuge in Deutschland. Die zwölf Millionen sind also ein sehr ambitioniertes Ziel, das wir nicht erreichen werden, wenn wir uns allein auf die Autoindustrie verlassen. Im Gegenteil: Wir brauchen neben der Förderung auch eine Quote.

ZEIT ONLINE: Sie meinen verpflichtende Anteile von Elektroautos an den von Herstellern verkauften Fahrzeugen?

Krautzberger: Genau. Das ist umstritten, aber Kalifornien ist damit sehr erfolgreich, und in China führt man nun auch solche Quoten ein. Sie geben den Herstellern eine Planungssicherheit. Wir haben ausgerechnet: Wenn wir das CO2-Minderungsziel im Verkehr für 2030 erreichen wollen, bräuchten wir bis 2020 eine Quote von drei bis zwölf Prozent, bis 2025 dann 30 bis 32 Prozent und bis 2030 einen Anteil von 60 bis 70 Prozent Elektrofahrzeuge.