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Bildung 65-Plus-Karriere

Das sind die Top-Jobs für High-Potential-Rentner

Sie sind über 70 und noch im Geschäft: Steven Spielberg, George Lucas und Harrison Ford Sie sind über 70 und noch im Geschäft: Steven Spielberg, George Lucas und Harrison Ford
Sie sind über 70 und noch im Geschäft: Steven Spielberg, George Lucas und Harrison Ford
Quelle: dpa
Fast 70 und im Berufsleben: Immer mehr Ruheständler arbeiten. Manche müssen, manche tun es ehrenamtlich. Und dann gibt es jene, die ihre Erfahrung als Top-Fachkraft nutzen – und erstaunliche Summen verdienen.

Worum geht es

Die Rente kam früh für Reinhard Paulsen. Er war erst 60 Jahre alt, Berufsschullehrer in Hamburg, seit einem schweren Unfall hängt sein rechter Jackenärmel leer herunter. Seine Frau sah ihn schon zu Hause sitzen, aber „die Angst habe ich ihr genommen“, sagt er.

Paulsen ist ein Macher. Einer, der schon mit seinen Schülern ins Ausland fuhr, als das noch niemand tat. Der sich seit rund 40 Jahren bei der freiwilligen Feuerwehr engagiert. Auf dem Sofa sitzen war keine Option. „Ich will noch was sehen, was tun!“, sagt er. Inzwischen verbringt er mehrere Monate im Jahr im Ausland. Als Senior Experte unterrichtet der heute 66-Jährige Feuerwehrmänner, unter anderem in Tansania oder Nicaragua. „Ich habe nicht vor, zu Hause zu bleiben und zu warten, dass der Sensenmann mich holt“, sagt Paulsen.

Fast 70 Jahre – und wieder im Berufsleben: Der Anteil der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 Jahren hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Arbeiteten um die Jahrtausendwende nur 3,7 Prozent von ihnen, so waren es 2013 schon 8,7 Prozent.

Quelle: Infografik Die Welt

Aber Senioren sind eine heterogene Gruppe. „Es gibt die, die arbeiten müssen, und die, die gern noch arbeiten wollen“, sagt Gerhard Naegele, Direktor des Instituts für Gerontologie an der TU Dortmund. Zu der ersten Gruppe gehört beispielsweise ein 69-Jähriger, der Zeitungen austrägt, weil seine Rente nicht reicht. Zu der zweiten ein hoch spezialisierter Ingenieur, den seine Firma gebeten hat zu bleiben. Ihre Arbeit kann man nicht vergleichen. Manche Senioren haben weniger als 900 Euro monatlich zur Verfügung, andere mehr als 2000, so das Statistische Bundesamt.

Jeder fünfte Deutsche ist älter als 65 Jahre

Reinhard Paulsen ist einer von denen, die arbeiten wollen. Er engagiert sich ehrenamtlich, ohne Verdienst. Seine Einsätze laufen über SES, eine Ehrenamtsorganisation für Menschen im Ruhestand. Mehr als 12.000 Senioren sind dort registriert, 4500 waren im vergangenen Jahr im Einsatz. Der Altersdurchschnitt liegt bei 70 Jahren. Die meisten Einsätze im Ausland dauern drei bis sechs Wochen. Sie können sich aber auch ein halbes Jahr lang hinziehen, in Deutschland noch länger, wenn auch nicht jeden Tag. Kommerziell oder politisch darf es nicht werden, so steht es in den Einsatzbedingungen.

Gebraucht werden Ingenieure ebenso wie Kfz-Mechaniker, Ärzte – oder Friseure. Besonders nachgefragt sind Bäcker und Konditormeister. Konkurrenz machen sollen sie den beschäftigten Fachkräften nicht. Nur ein bestimmtes Problem lösen, heißt es von der Organisation. Wenn schon demografischer Wandel, dann will man ihn auch nutzen.

Quelle: Infografik Die Welt

Jeder fünfte Deutsche ist älter als 65 Jahre. Im EU-Vergleich ist der Anteil nur in Italien höher. Seit 1970 ist die Lebenserwartung der über 60-Jährigen immer weiter angestiegen. Derzeit beträgt sie dem Statistischen Bundesamt zufolge rund 83 Jahre für Männer und rund 86 Jahre für Frauen.

Bei dem durchschnittlichen Rentenbeginn von 62 Jahren bedeutet das: Beide Geschlechter leben mehr als 20 Jahre im Ruhestand. Zum Vergleich: 1970 kamen Männer im Schnitt nur auf 75 Lebensjahre, Frauen auf 79. Eine OECD-Studie aus dem vergangenen Dezember geht davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Und nicht nur die Länge des Ruhestandes hat sich verändert. Auch die Qualität. „Im Durchschnitt sind Rentner heute gesünder und besser gebildet“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Naegele.

Rentner von heute haben neue Ansprüche

Simone Scherger vom Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (Socium) an der Universität Bremen hat mit ihrem Team viele Gründe gefunden, warum Senioren arbeiten: aus Spaß, wegen sozialer Kontakte oder für Anerkennung, um den Lebensstandard zu halten oder um körperlich und geistig fit zu bleiben. Für manche gelte: „Was man gern macht, macht man weiter“, sagt die Soziologin. Andere suchen sich einen Minijob, in dem sie zwar nicht aufgehen, der sie aber für eine Weile aus dem Haus bringt.

Ich will noch was erleben, bevor ich den Rollator durchs Altenheim schiebe
Reinhard Paulsen
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Für die, die freiwillig arbeiten, gilt: Rentner passen die Arbeit ihrem Leben an. Nicht mehr umgekehrt. Vielleicht stehe hinter der Arbeit auch eine neue Mentalität: „Man kann zumindest annehmen, dass Menschen wie die 68er-Generation, die gesellschaftlichen Wandel angestoßen haben und sich selbst verwirklichen wollen, neue Ansprüche an die Altersphase haben“, sagt Scherger. Ein erwiesener Grund ist die gute Arbeitsmarktlage. Wenn es viel Arbeit gibt, gibt es auch Jobs für Rentner. Ab 65 Jahren dürfen sie unbegrenzt dazuverdienen.

Der Rentner Reinhard Paulsen sagt: „Ich will noch was erleben, bevor ich den Rollator durchs Altenheim schiebe.“ Er findet: „Ich mache mir doch ein schönes Leben.“ Er sehe etwas von der Welt. Nicht nur die Touristenecken, sondern auch Gegenden, durch die wochenlang kein Auto fährt und in denen Handys keinen Empfang haben. Die Tansaner nennen ihn nicht mehr „Mzungu“, also Weißer, sondern „Rafiki“, Freund. Sein Englisch ist besser geworden, Spanisch hat er noch gelernt. „Ein kaltes Bier“ kann er auch auf Suaheli bestellen. Fließend wird er die Sprache nicht mehr lernen.

Sein Gedächtnis ist schlechter geworden. Paulsen macht sich keine Illusionen, in fünf oder sechs Jahren wird alles noch mühsamer werden. Anstrengend sind die Reisen schon jetzt. Auch nicht immer ganz ungefährlich. Paulsens Haltung: „Wenn es mich erwischen soll, erwischt es mich.“ Schlimmer als alles, was in Afrika passieren könnte, findet er die Vorstellung, in Deutschland nur noch einen Hund um die Häuser zu führen.

Unternehmen bekommen Experte mit Spezialwissen

Außerdem: „Punktuell schaffen wir es auch mal, Dinge zum Besseren zu wenden“, sagt Paulsen. Wie bei der Feuerwache, die er mit Atemschutzgeräten ausstatten konnte. Sein Unterricht an den Geräten lief noch, da wurde ein Brand gemeldet. Die Feuerwehr fuhr los und konnte dank der neuen Technik den Brand in dem verqualmten Gebäude innerhalb von Minuten löschen.

Fünf bis zehn Prozent der Rentner, so schätzt Karl Wulftange, seien mit dem Dauerfrei unzufrieden. „Unruhegeister“ nennt er sie. Sie sind seine Zielgruppe. Wulftange leitet die Agentur „Die Silberfüchse“, die meist ehemalige Führungskräfte an kleine und mittelgroße Firmen vermittelt. Dort arbeiten sie etwa als Krisenmanager oder Mentoren für das Management. Spätestens nach einem Jahr zu Hause falle vielen die Decke auf den Kopf, sagt Wulftange. „Sie müssen was zu tun haben.“ Dass Menschen auch jenseits der 65 noch einiges leisten können, daran hat Wulftange, selbst 70 Jahre alt, keine Zweifel: „Adenauer war 73, als er Bundeskanzler wurde.“

Die Klavierlehrerin
Die Klavierlehrerin
Quelle: Udo Lindenberg

Zwischen 400 und 800 Euro pro Tag verdienen die hochqualifizierten Senioren nach Wulftanges Angaben. Die Agentur bekommt unabhängig davon eine Provision. Aus seiner Sicht ein gutes Geschäft für alle: Die Senioren haben etwas zu tun, ihr Wissen wird weitergegeben, Steuern zahlen sie auch. Die Firmen bekämen Spezialwissen, ohne jemanden einstellen zu müssen, und einen Experten, der „unaufgeregt“ sei, weil er keine Karriere mehr machen wolle. Zu den regulären Arbeitskräften stehe man nicht in Konkurrenz, da es nur um zeitlich begrenzte Einsätze gehe. Etwa 150 Experten sind aktuell in der Datenbank der Silberfüchse. Das Interesse der Älteren sei da. Überzeugen müsse er eher die Betriebe.

Noch sind arbeitende Rentner nur eine Minderheit. Ob sich daraus – unabhängig von finanzieller Notwendigkeit – ein Trend entwickelt, muss sich zeigen. Wissenschaftlerin Scherger ist es wichtig, von einigen nicht auf alle zu schließen. Das Rentenalter zu erhöhen wäre der falsche Schluss. „Die Arbeit macht ihnen Spaß, weil sie freiwillig ist“, sagt sie. Rentner Paulsen kann das bestätigen: „Ich mache nur noch das, worauf ich auch Lust habe.“

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