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Warum wir alle schnell in die Stadt ziehen sollten

Wozu aufs Land? Die High Line in Manhattan Wozu aufs Land? Die High Line in Manhattan
Wozu aufs Land? Die High Line in Manhattan
Quelle: Bruce Yuanyue Bi-Getty
Vishaan Chakrabati hat New York wieder aufgebaut, als es nach 9/11 am Boden zerstört war. Ein Gespräch über den falschen Traum vom Landleben und die ökologischen Vorteile der Urbanität.

Sein Twitter-Profilbild zeigte kürzlich Batman, daneben eine Geräuschblase: „PAU“. Aber Vishaan Chakrabarti ist kein Größenwahnsinniger, sondern bloß Popkulturfetischist. Und seine neue Firma heißt „Practice Architecture Urbanism“, kurz: PAU. Der Fünfzigjährige ist Architekt, Stadtplaner, Columbia-Professor, Buchautor und, wie er selbst sagt, „utopischer Pragmatiker“.

Die Welt: Herr Chakrabarti, was haben Sie eigentlich gegen Bob den Baumeister?

Vishaan Chakrabati: Oh, Bob. Mein Problem ist, dass er vorgibt, ein Umweltschützer zu sein. Sein Mantra lautet ja: „Reduzieren, recyclen, wiederverwerten“, und das, obwohl er die ganze Zeit mit einer Spritschleuder unterwegs ist. Nun ja. Ich erinnere mich, wie mein Sohn, als er noch ziemlich jung war, diese Sendung an einem Samstagmorgen schaute. Ich stand daneben mit meinem Kaffee ...

Die Welt: ... und Sie sind innerlich verzweifelt?

Chakrabati: Ja! In dieser Episode, sie heißt „Bobs großer Plan“, trifft er auf einen Architekten, der ihm die neuen Hochhauspläne für die Landschaft „Sunflower Valley“ erklärt. Bob geht nach Hause und hat Albträume, in denen „Sunflower Valley“ nach dem Umbau nicht mehr grün, sondern dreckig und künstlich ist. Am nächsten Morgen entschließt sich Bob, selbst am Wettbewerb teilzunehmen. Also entwickelt er ein Ökodorf mit nur vier Häusern, Solaranlagen und Windrädern. Man sieht lange Wege, aber keine Autos. Wie die Leute von A nach B kommen, wird nicht erklärt.

Die Welt: Was interessiert Sie an dieser Geschichte?

Chakrabati: Architekten, Stadtplaner, Akademiker, wir alle reden viel miteinander, aber wir geben uns nicht genug Mühe, die breite Masse anzusprechen. Bob der Baumeister veranschaulicht die Kernprobleme der modernen Umweltbewegung. Wir im Westen haben diese Idee, dass Technologie unsere Probleme löst. Sprich, wir brauchen nur Solarzellen, Windräder, Elektroautos und Energiesparlampen, um die Erderwärmung zu bekämpfen. All diese Dinge bedeuten mehr Konsum. Ich glaube aber nicht, dass mehr Konsum die Lösung ist.

Die Welt: Sie kritisieren das Narrativ der globalen Urbanisierung. In Wahrheit, sagen Sie, gebe es eine Suburbanisierung.

Vishaan Chakrabarti wurde in Kolkata, Indien geboren und wuchs in Arizona und Boston auf. In seinem Manifest „A Country Of Cities“ (2013) schreibt der Columbia-Professor, dass seine Eltern aus „einfachen Verhältnissen kamen und ihn in die Städte dieser Welt tauchten“
Vishaan Chakrabarti wurde in Kolkata, Indien geboren und wuchs in Arizona und Boston auf. In seinem Manifest „A Country Of Cities“ (2013) schreibt der Columbia-Professor, dass sein...e Eltern aus „einfachen Verhältnissen kamen und ihn in die Städte dieser Welt tauchten“
Quelle: Brian Shumway/Redux/laif

Chakrabati: Seit Jahrzehnten hören wir, dass Menschen in Massen in die Städte ziehen. Was wir aber tatsächlich sehen, ist, dass Menschen in die Umgebung von Städten ziehen. Der Traum der Mittelklasse, der ja oft durchs Fernsehen vermittelt wird, setzt sich aus einem Einfamilienhaus, zwei Autos und einer Garagenzufahrt zusammen. Man fährt überall hin, der Arbeitsplatz ist weit entfernt. Dieser Lebensstil bringt die Erde an die Grenze ihrer Belastbarkeit.

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Die Welt: Deshalb propagieren Sie, dass wir uns auf die dichte Bebauung von Städten konzentrieren sollten.

Chakrabati: Genau. Die urbane Lebensweise ist grundsätzlich die umweltfreundlichste, weil effizienteste. Die Menschen benutzen öffentliche Verkehrsmittel, leben auf kleinem Wohnraum, haben einen kleineren CO2-Fußabdruck. Wir brauchen kluge Stadtinfrastruktur. Wer die Natur wirklich liebt, lässt sie in Frieden und besiedelt sie nicht.

Die Welt: Dazu passt auch Ihr Spitzname: Professor Skyscraper. Ein Kompliment?

Chakrabati: Ich kann mit dem Namen leben. Wobei ... ich würde Professor Skyline vorziehen. Was ich an der Idee einer Skyline mag, ist die öffentliche Komponente. Nehmen wir das Chrysler Building: Die meisten Menschen waren nie in diesem Gebäude, weil es privat ist, aber das ist egal, denn dieses Gebäude trägt seinen Teil zum kollektiven New-York-Gefühl bei. Und wissen Sie, die Leute verwechseln oft Dichte mit Höhe, dabei muss Dichte nicht immer vertikal sein. Es gibt Hochhäuser, in denen der Wohnraum nicht effizient genutzt wird.

Die Welt: Wie das neue Hochhaus an der Park Avenue, das trotz seiner 400 Meter Höhe nur 104 Apartments unterbringt?

Chakrabati: Ich denke, dass solche Gebäude gar nicht das zentrale Problem sind. Die Leute schreien: Gentrifizierung! Das ist ein bisschen so, als würde man behaupten, dass Beverly Hills durch eine neue Villa gentrifiziert wird.

Die Welt: Sie zitieren gerne die Talking Heads, zum Beispiel das Lied „Once in a Lifetime“: „You may ask yourself, what is that beautiful house? Where does that highway go to? Am I right am I wrong? My God! What have I done?“

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Chakrabati: Das ist die Frage: What have we done? Ich habe im College Kunstgeschichte studiert, mein liebstes Thema war die französische Malerei im späten 17. Jahrhundert. Diese Maler legten den Grundstein für die Revolution. Ich weiß nicht, ob dieser Vergleich jemals gezogen wurde, aber genauso revolutionär waren die Talking Heads. Sie fordern uns auf, die Umgebung zu hinterfragen. Wenn ich die Infrastruktur von Vorstädten kritisiere, antworten die Leute mit Fatalismus. Als hätten wir Menschen nichts mit dieser Infrastruktur zu tun. Wenn all die Vorstädte in fünfzig Jahren errichtet wurden, können sie in der gleichen Zeit auch wieder verschwinden.

Die Welt: Sie starteten Ihre Karriere in den Neunzigern. Eine Zeit, in der die Devise oft „Mehr ist mehr“ lautete.

Chakrabati: Der Kalte Krieg war beendet, Reagan und Thatcher abgelöst, der SUV-Boom begann, das Guggenheim-Museum in Bilbao wurde eröffnet. Und dann kommen wir ins 21. Jahrhundert, werden von 9/11 getroffen, von Hurrikan „Katrina“, von der Wirtschaftskrise, die Erderwärmung spielt eine größere Rolle im Diskurs. Für die Leute, die jetzt beruflich erwachsen werden, auch die Millenials in meinem Büro, gilt das „Mehr ist mehr“ nicht mehr.

Die Welt: Die Städte der Zukunft sind in Science-Fiction-Filmen wie „Blade Runner“ oder „RoboCop“ oft Dystopien. Düster, überladen, ungerecht.

Chakrabati: Ich erinnere mich an eine Professorin, die zu mir meinte, dass „Die Frauen von Stepford“ viel dystopischer als „Blade Runner“ sei. Aber gehen wir einen Schritt zurück. Meiner Meinung nach gibt es drei globale Megatrends, die uns beschäftigen: den Klimawandel, die wachsende soziale Ungerechtigkeit und die Technologisierung. Angesichts dieser Megatrends ist es wohl ziemlich schwer, Optimismus zu entwickeln.

Die Welt: Ihre neue Firma heißt „Practice Architecture Urbanism“. Es hat für Aufsehen gesorgt, dass Sie auf Ihrer Website das auflisten, was Sie nicht bauen. Keine Vorstadt-Einfamilienhäuser, keine Gefängnisse. Sie nehmen auch keine Aufträge von Diktaturen, Autokratien oder Unternehmen mit „schwachem Arbeitnehmer- und Umweltschutz“ an. Wo fängt das an, wo hört es auf?

Chakrabati: Es ist interessant, dass die Liste so viel Aufmerksamkeit bekommt. Sie hat die Branche gegen mich aufgebracht.

Die Welt: Weil Sie sich in Ihrer Philosophie von Architekten wie Zaha Hadid und Rem Koolhaas unterscheiden, die in Katar, Aserbaidschan und China bauen?

Chakrabati: Sagen wir so: Ich halte es für problematisch, wenn führende Köpfe dieser Branche Sklaven auf ihren Baustellen akzeptieren und behaupten, sie hätten damit nichts zu tun. Ich möchte nicht zu selbstgerecht und moralisch sein, und vielleicht fliegt mir das irgendwann um die Ohren, aber ich möchte zumindest versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Was bedeutet schwacher Arbeitsschutz? Ich bin Inder, und als ich das erste Mal in den Vereinigten Arabischen Emiraten war und Menschen aus meinem Land als Sklaven arbeiten sah, war für mich klar, dass ich mich an diesem System nicht beteilige. Einer von denen könnte der leibliche Vater meiner adoptierten Tochter sein! Es muss gewisse Standards geben, an die man sich hält, auch im eigenen Büro. Ich kenne prominente Architekten, die ihre Angestellten unter Mindestlohn bezahlen.

Die Welt: Sie waren von 2002 bis 2005 unter Bürgermeister Michael Bloomberg für die Stadtplanung Manhattans zuständig, also nach 9/11. Wie verändert Terrorangst das Bauen?

Der Brooklyn Bridge Park in New York gewährt einen eindrucksvollen Ausblick auf die Skyline von Manhattan
Der Brooklyn Bridge Park in New York gewährt einen eindrucksvollen Ausblick auf die Skyline von Manhattan
Quelle: Getty Images/Lonely Planet Images

Chakrabati: 2002 war selbst der Bau einer Eisbude ein Politikum! Ich erinnere mich an Meetings, in denen die wichtigsten Figuren dieser Stadt ihre Gesichter in den Händen vergraben hatten und nur daran dachten, was bei weiteren Anschlägen geschieht. Es wurde sogar diskutiert, mit der kompletten Verwaltung an den Rand New Yorks zu ziehen, in Flugzeughallen. Die Stimmung hatte was von Kaltem Krieg, unsere zentrale Frage lautete: Wie bekommen wir die Stadt zurück auf die Beine? Und so sind in dieser Phase die High Line, Hudson Yards und der Brooklyn Bridge Park entwickelt worden, Governors Island wurde wiederbelebt, die Columbia Universität zu Manhattanville erweitert.

Die Welt: Der deutsche Beitrag zur Architektur-Biennale in Venedig heißt „Making Heimat“, man sieht unterschiedliche Typen von Flüchtlingsunterkünften. Wie sieht in Ihren Augen gute Flüchtlingsarchitektur aus? Oder ist das schon der falsche Ansatz? Als ob Migranten andere Bedürfnisse haben als der Rest der Bevölkerung.

Chakrabati: Es ist für mich ein emotionales Thema. Meine Eltern kamen 1968 mit 32 Dollars von Indien nach Arizona, und ihnen wurde auf vielen Ebenen geholfen, sich zurechtzufinden. Wenn wir Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnraum, Gesundheitsvorsorge, Kultur bereitstellen, dann bin ich überzeugt, dass die Migranten eigenständig leben können. Und wir sollten sie fragen, wie sie leben wollen. Wir müssen die Tatsache anerkennen, dass viele kommen, um zu bleiben, also geht es auch darum, bereits vorhandene Infrastruktur zu nutzen.

Die Welt: In den Niederlanden kommen Flüchtlinge in früheren Gefängnissen unter.

Chakrabati: Eine problematische Symbolik. Ich habe neulich gelesen, dass Kreuzfahrtschiffe nach einer bestimmten Anzahl von Jahren ausgemustert werden. Ich frage mich, ob man die Schiffe als Flüchtlingsunterkünfte umnutzen kann, auch wenn das natürlich keine Dauerlösung ist. Und lasst uns entvölkerte Städte wie Detroit und Baltimore nutzen. Diese Städte brauchen doch Menschen.

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