Als der Prophet Mohammed einmal mit seinen Soldaten aus einem Krieg zurückkehrte, sagte er zu ihnen: "Nun sind wir vom kleinen zum großen Dschihad zurückgekommen." Die Soldaten fragten ihn, was er damit meinte, und er sagte: "Der Kampf gegen das Schlechte in einem selbst, das ist der eigentliche Dschihad."

Der Koran und die Hadith-Sammlungen mit Äußerungen des Propheten ermöglichen viele Deutungen des Begriffs. Wer möchte, findet ihn wie in dem oben genannten Zitat in seiner anfänglichen Bedeutung von "sich anstrengen" oder "sein Bestes geben" und als Bezeichnung für das Ringen des Gläubigen mit seinen Dämonen. "Derjenige, der Dschihad betreibt [arabisch: al-mudschahid], ist, wer sich um Gottes Willen mit sich selbst auseinandersetzt", so überliefert es die Hadith-Sammlung von At-Tirmidhi. Der Ort dieses Dschihad ist das Herz, nicht das Schlachtfeld. Es geht um einen inneren Kampf gegen Hochmut und Untugend, gegen die Verlockung zu moralisch verwerflichen Taten, gegen Ignoranz und schlechte Charaktereigenschaften.

Doch auch wer im Koran nach einem Zusammenhang von Dschihad und Krieg sucht, wird fündig. An vielen, meist später verkündeten Stellen bezieht sich der heilige Text auf kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Muslimen auf der einen Seite und den Mekkanern, Angehörigen arabischer Stämme, die an viele Götter glaubten, auf der anderen. Hier bedarf es einer historisch geschulten Lesart. Denn anders als Fundamentalisten es handhaben, denen es nur um den Wortlaut geht, sind koranische Suren in ihrer Zeit zu verorten: Sie entstammen einer besonderen geschichtlichen Situation und sind nur aus dieser heraus zu verstehen.

Nach muslimischem Glauben wurde der Koran durch den Propheten Mohammed verkündet, der ihn vom Engel Gabriel empfangen hat. Dies geschah über einen Zeitraum von etwa 22 Jahren. In dieser Zeit lebte der Prophet zwölf Jahre lang in Mekka, zwischen 610 und 622, und zehn Jahre in Medina, von 622 bis 632.

Die in den beiden Zeiträumen entstandenen Verse unterscheiden sich teils stark voneinander. Die mekkanischen Verse etwa untersagen Muslimen noch jegliche Form der militärischen Selbstverteidigung – obwohl sie aufgrund ihres Glaubens zum Teil brutal von den Mekkanern verfolgt wurden. Erst nach der Auswanderung Mohammeds nach Medina ändert sich das. Ungefähr im Jahr 623 verkündet Mohammed, dass Gott jenen, "die bekämpft werden", die Erlaubnis zum Kämpfen erteile, "weil ihnen Unrecht geschehen ist". Das an den Muslimen begangene Unrecht wird detailliert beschrieben. Sie seien von den Mekkanern etwa "aus ihren Wohnungen vertrieben worden [...], nur weil sie sagen: Unser Herr ist Gott." Sich gegen solche Gewalt zu wehren sei letztlich ein Gebot der Selbsterhaltung. Auch Christen und Juden werden aus diesem Grund von Muslimen verteidigt: "Und wenn Gott nicht die einen Menschen durch die anderen zurückgehalten hätte, wären Einsiedlerklausen, Kirchen, Synagogen und Moscheen, in denen der Name Gottes unablässig erwähnt wird, zerstört worden."

Der Koran beschreibt und erlaubt den Verteidigungskrieg – er ruft aber gleichzeitig zur Mäßigung auf. Ziel sei es, sich selbst zu retten, nicht die Gegner zu vernichten: "Wenn sie Frieden wollen, dann erkläre ihnen den Frieden und vertraue auf Gott! Er ist der, der hört und weiß." In Sure 2, Vers 190, werden den Muslimen eindeutig die Grenzen des Krieges aufgezeigt: "Und kämpft um Gottes Willen gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen! Aber begeht keine Übertretung! Gott liebt die nicht, die Übertretungen begehen."

Dieser Text stammt aus dem Magazin ZEIT Geschichte Nr. 2/16. © Das aktuelle Heft können Sie am Kiosk oder hier erwerben.

Außerdem befürwortet es der Koran keineswegs, Kriege zu führen, um Nichtmuslime zum Islam zu bekehren. Wäre die Bekehrung durch das Schwert das Ziel, könnte der Kampf erst enden, wenn die Gegner sich zum Islam bekannt haben. Davon aber ist nicht die Rede. Deshalb ist auch eine Übersetzung des Begriffes Dschihad als "Heiliger Krieg" im Grunde falsch, denn es geht keineswegs um einen religiösen Krieg, der nur Tod oder Bekehrung kennt.

Islamistische Extremisten freilich finden heute auch unter diesen Voraussetzungen Mittel und Wege, den Koran in ihrem Sinne zu deuten. So ist es gängig, die eigene Gewalt mit neuen oder alten Kriegshandlungen etwa der USA zu legitimieren. Der Koran bleibt ein deutungsoffener Text. Es ist möglich, ihn friedlich zu lesen oder seine Verse für kriegerische Zwecke einzuspannen. Beide Lesarten haben eine jahrhundertealte Tradition.