ZEIT ONLINE: Herr Rautenberg, erleben wir in Deutschland zurzeit rechten Terror?

Erardo Rautenberg: Das kann ich nicht ausschließen. Wir wissen jedenfalls, dass es rechten Terror gegeben hat – beispielsweise durch den NSU oder zuvor in Brandenburg durch das Freikorps Havelland. Ob auch hinter den aktuellen Anschlägen eine terroristische Organisationsform steht, weiß ich nicht. Aber möglich ist es.

ZEIT ONLINE: Welche Anhaltspunkte sind denn nötig, damit Sie als Ermittler sagen: Hinter diesem Anschlag auf ein Flüchtlingsheim könnte eine rechtsextreme Terrorzelle stehen?

Rautenberg: Der klassische Anhaltspunkt ist ein Bekennerschreiben. Wenn sich eine Organisation auf diese Weise ausdrücklich zu einer Tat bekennt, hat man einen konkreten Hinweis, dass es sich nicht nur um eine Einzeltat handelt.

ZEIT ONLINE: Aber es gibt kein einziges Bekennerschreiben zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte...

Rautenberg: Das ist richtig. Und auch der NSU hat keine Bekennerschreiben verfasst. Es ist also zur Kenntnis zu nehmen, dass es terroristische Vereinigungen gibt, die ohne Bekennerschreiben operieren. Womöglich geht es ihnen weniger darum, durch das Bekenntnis zu den Taten politisch zu mobilisieren. Vielleicht reicht es ihnen, durch die Taten als solche Angst und Schrecken zu verbreiten.

ZEIT ONLINE: Was würde sich ändern, wenn Bekennerschreiben vorlägen?

Rautenberg: Nach einem Bekennerschreiben fährt erfahrungsgemäß der gesamte Verfolgungsapparat sofort hoch und erzeugt einen enormen Verfolgungsdruck. Genau das wollen die Täter womöglich vermeiden, indem sie sich bedeckt halten.

ZEIT ONLINE: Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius wünscht, dass sich der Generalbundesanwalt in Karlsruhe trotzdem einen Fall herausgreift und den Terrorvorwurf daran durchdekliniert. Wäre es an der Zeit?

Rautenberg: Das kann ich nicht beurteilen und dafür bin ich auch nicht zuständig. Wir müssen hier die Kompetenzen auseinanderhalten. Es ist aber sehr wichtig, dass die Staatsanwaltschaften wirklich alle Fälle, die nur im Entferntesten einen terroristischen Hintergrund haben könnten, dem Generalbundesanwalt vorlegen, der allein über das Vorliegen eines sogenannten Anfangsverdachts zu entscheiden hat. Dabei ist er an das Gesetz und die dazu vorliegende Rechtsprechung gebunden.

ZEIT ONLINE: In Deutschland muss man sich am besten wie ein Kleingartenverein organisieren und eine Satzung geben, um die strengen rechtlichen Anforderungen an eine Terrorzelle zu erfüllen. Dabei reicht dafür heute im Zweifelsfall eine WhatsApp-Gruppe. Müsste man das Terrorstrafrecht dem digitalen Zeitalter anpassen?

Rautenberg: Man darf natürlich darüber nachdenken, wie man solche Phänomene strafrechtlich besser verfolgen kann. Andererseits sind die Straftaten, die gegen Flüchtlingsunterkünfte begangen werden, häufig ohnehin schwerste Delikte. Brandstiftung oder Sprengstoffanschläge sind keine Kavaliersdelikte. Wenn man die Täter ermittelt hat, kann man sie daher auch adäquat bestrafen, ohne dass man sie als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung behandelt.