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  3. Das letzte Einhorn: Zehn Lehren aus dem schwermütigen Zeichentrickfilm

Panorama Schwermütiger Zeichentrickfilm

„Das letzte Einhorn“ - zehn Dinge, die Erwachsene lernen können

DAS LETZTE EINHORN 25. Woche SENDETERMIN: do220600 RTL2 2015 Das anscheinend letzte Einhorn macht sich auf die Suche nach seinen Artgenossen, befreit sie aus ihrer Gefangenschaft und rettet so "das Wunderbare" in der Welt vor dem Aussterben. Foto: Bevor das letzte Einhorn seine Artgenossen befreien kann, muss es erst mit dem roten Stier kämpfen. 32190 , 22kpaEinh1 | Verwendung weltweit DAS LETZTE EINHORN 25. Woche SENDETERMIN: do220600 RTL2 2015 Das anscheinend letzte Einhorn macht sich auf die Suche nach seinen Artgenossen, befreit sie aus ihrer Gefangenschaft und rettet so "das Wunderbare" in der Welt vor dem Aussterben. Foto: Bevor das letzte Einhorn seine Artgenossen befreien kann, muss es erst mit dem roten Stier kämpfen. 32190 , 22kpaEinh1 | Verwendung weltweit
Bevor das letzte Einhorn seine Artgenossen befreien kann, muss es erst mit dem Roten Stier kämpfen
Quelle: picture-alliance / KPA Honorar u
Wir hätten uns lange Schuljahre und viel schmerzhafte Erfahrung sparen können. Depression, Umgang mit dem Tod - der Zeichentrickfilm „The Last Unicorn“, erschienen vor 35 Jahren, hat alles schon gewusst.

„The Last Unicorn ist die Geschichte eines Einhorns, das sich aufmacht, seine verschwundenen Artgenossen zu finden; ein Ungeheuer, der Rote Stier, hat sie aus der Welt vertrieben. Unterwegs tut sich das letzte Einhorn mit einem Jungzauberer und einer Räubersfrau zusammen und wird zu seinem Schutz kurz selber in eine Menschenfrau verwandelt. Am Ende stellt es, nun wieder Einhorn, den Stier im Kampf, bringt die Einhörner zurück.

Der US-Trickfilm kam 1982 in die Kinos und beruht auf dem gleichnamigen Kinderbuch von Peter Beagle. Filmlexika nennen die Produktion von Arthur Rankin Jr. und Jules Bass „kitschig“, die Animation „grobschlächtig“, doch die Kinderfantasy war ein Erfolg und hat bis heute eine treue Anhängerschaft, gerade im deutschsprachigen Raum. Der Film widersetzt sich den Disney-Geboten und ist fast durchgehend schwermütig.

Er mutet den Kindern einiges an Monstern und Gewaltdarstellungen zu; für viele war „The Last Unicorn der erste Horrorfilm. Zudem verhandelt er Themen wie Tod, Einsamkeit und Depressionen und steckt voller Einsichten über das Leben der Erwachsenen.

1) Kein Völkermord ohne Vollstrecker

„The Last Unicorn steckt voller Schrecken. Selbst der Schmetterling, der dem Einhorn zu Beginn vom Schicksal der übrigen Einhörner erzählt, hat etwas Unheimliches, wenn er immer wieder wie dement abschweift und zu singen beginnt. Später führt die Reise des Einhorns zum freudlosen König Haggard und seinem Klippenschloss – und zum lachenden Gerippe, dessen Augenhöhlen zu glimmen beginnen, als es das Einhorn ahnt.

DAS LETZTE EINHORN 25. Woche SENDETERMIN: do220600 RTL2 2015 Das anscheinend letzte Einhorn macht sich auf die Suche nach seinen Artgenossen, befreit sie aus ihrer Gefangenschaft und rettet so "das Wunderbare" in der Welt vor dem Aussterben. Foto: Ein Schmetterling erzählt dem letzten Einhorn, wo es seine Artgenossen finden kann. 32190 , 22kpaEinh3 | Verwendung weltweit
Ein Schmetterling erzählt dem letzten Einhorn, wo es seine Artgenossen finden kann
Quelle: picture-alliance / KPA Honorar u

Das größte Grauen aber geht vom Roten Stier aus, König Haggards Bestie. Ihre unangenehm wabernde Flammengestalt und ihr geifriger Schlund haben viele kleine Kino- und Fernsehzuschauer verstört; der Stier folgt in die Albträume. Dass er die Einhörner nicht aus eigenem Antrieb jagt, sondern ein mörderischer Befehlsempfänger ist, macht die Sache nur schlimmer: Gründlich und gehorsam macht er sich an die Ausmerzung einer ganzen Spezies. Die Einhörner werden zusammengetrieben, alle übrigen Wesen verschont. Der Stier ist eine Genozidmaschine.

2) Hyperrealität ist besser

Auf seiner Reise schläft das Einhorn auf offenem Feld. Die Hexe Mommy Fortuna entdeckt es und fängt das Tier ein. Sie stellt es aus in ihrem Wanderzoo der Monstrositäten: „Geschöpfe der Nacht, ans Licht gebracht“, preist ihr Knecht dem Publikum die Mitternachtsmenagerie an. Dabei sind die bestaunten Monster in Wahrheit gewöhnliche Tiere, ein alter Affe, ein müder Löwe – nur Mommys Illusionen lassen die Zuschauer Ungeheuer sehen. Das Einhorn wäre echt, doch auch es braucht einen Zauberanstrich, ein künstliches, leuchtendes Horn.

Ohne diesen Trick, diese Überschminkung, würden die meisten Menschen es nicht erkennen, nur ein weißes Pferd sehen. Mommy Fortuna schafft, was der Philosoph Jean Beaudrillard Hyperrealität genannt und was Umberto Eco bei seinen Reisen durch die Freizeitparks und Wachsfigurenkabinette der USA beschrieben hat: Die Realität wird als ungenügend empfunden und deshalb übertrieben nachgebaut, durch eine Simulation ersetzt. Oft geht es dabei um das Bedienen von Erwartungen; wenn sich amerikanische Ureinwohner im Reservat als federgeschmückte Indianer verkleiden oder ein Schweizer Tourismusdirektor den Älpler mit Sennenkäppi gibt. Man will als das erkannt werden, was man ist, und spielt sich selbst dafür.

3) Es gibt ein Sehnen nach dem Tod

Viele Figuren im Film flirten mit dem Tod. Am deutlichsten wird das bei der Hexe Mommy Fortuna: In ihrer Menagerie hat sie neben dem echten Einhorn auch eine echte Harpyie, ein Vogelfrauenwesen mit Zähnen und Klauen (und drei nackten Brüsten, was manche US-Kritiker verstört hat). Die Harpyie ist ihre Gefangene, doch Mommy lebt im Wissen, dass das Vogeltier sie eines Tages töten wird.

Als die Harpyie vom Einhorn befreit wird und in die Luft aufsteigt, breitet Mommy Fortuna ihre Arme aus und heißt ihr Ende lachend willkommen. Das Einhorn verlässt den Standplatz gemeinsam mit dem Zauberer Schmendrick, die Harpyie hockt über den leblosen Körpern der Hexe und des Knechts. Der Film setzt den Gedankenkeim, dass der Tod nicht immer plötzlich und unheilvoll zuschlägt, sondern dass manche mit ihm tanzen, ihn herausfordern.

4) Verlierer sind beliebter

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Schmendrick ist ein Zauberer, dem die Magie partout nicht gelingen will. Er behilft sich mit Taschenspielertricks und hilft im Wanderzirkus aus. Trotzdem wird er der Gefährte des Einhorns, gewinnt er die Freundschaft des stolzen Wesens.

Vor 35 Jahren erschienen: Der Zeichentrickfilm Das letzte Einhorn
Rettet "das Wunderbare" in der Welt vor dem Aussterben: das letzte Einhorn
Quelle: picture alliance / United Archiv

Als ihm für einmal dann echter Zauber gelingt, verwandelt er das Einhorn in eine Menschenfrau, um es vor den Hörnern des Stiers zu retten; Menschen interessieren ihn nicht. Doch das Einhorn ist unglücklich in seiner neuen Gestalt, eingesperrt in den Frauenkörper. Es gibt keinen Dank für Schmendrick.

5) Mythos schlägt Wirklichkeit

Räuberhauptmann Captain Cully kann einem leidtun. Seine ganze Bande läuft ihm davon – und dem legendären Dieb Robin Hood hinterher. „Robin Hood ist ein Mythos, wir sind die Wirklichkeit“, hatte Cully kurz zuvor noch am Lagerfeuer ausgerufen.

Doch als Zauberer Schmendrick ein Trugbild von Robin und Marianne durch den Wald schweben lässt, ist es um die realen Räuber geschehen; sie eilen dem Mythos nach. Eine Lektion über den Glanz des Ruhms und der Legenden, der gestandene Wegelagerer Schemen hinterherjagen lässt.

6) Dein Unterbewusstsein ist versaut

Zur Strafe für seine Gaukelei bindet Räuber Cully Zauberer Schmendrick an eine Douglasföhre. Der murmelt leichtfertig eine Reihe von Beschwörungen, um seine Fesseln zu sprengen – und erweckt ungewollt den Baum zum Leben. Die Föhre verwandelt sich in ein weibliches Wesen mit gewaltiger Oberweite, das den schmächtigen Zauberer zwischen seinen Brüsten zu ersticken droht.

Hier sind Schmendrick offensichtlich geheime Begierden zum Verhängnis und real geworden; Freud hätte seine Freude an der Szene gehabt. Die Zuneigung des Baums wird immer bedrohlicher, bis das Einhorn erscheint und den Zauberfreund befreit.

7) Depressionen sind zerstörerisch

Alle Figuren in „The Last Unicorn kämpfen mit der Traurigkeit. Das Einhorn, weil es das letzte ist. Der Zauberer, weil ihm nichts gelingt. Molly Grue, die verhärmte Räubersfrau, weil sie sich als Mädchen den Schutz eines Einhorns gewünscht hätte, aber allein durch ihr hartes Leben musste. Der junge Held Lir, weil er sich vergeblich um die Gunst des zur Menschenfrau verwandelten Einhorns müht.

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Am traurigsten aber ist König Haggard, im Original wie im Deutschen gesprochen vom Horrorschauspieler Christopher Lee. Ihm macht nichts mehr Freude auf der Welt – außer dem Meer, in das er den Roten Stier die Einhörner treiben ließ. Wenn die Flut kommt, sieht er die Tiere in den Wellen. Haggard steht für all die Verzweifelten der Erwachsenenwelt, die das Helle nicht mehr sehen können und in ihrem Streben nach Glück manchmal andere ins Unglück reißen. Der Film bietet keinen Trost. Zuletzt stürzt Haggard vom Balkon in den Tod.

8) Wir leben in postheroischer Zeit

Der junge Prinz Lir springt in den Kampf gegen den Roten Stier – wissend, dass es sinnlos ist, er nicht gewinnen kann. „Dafür sind Helden da“, sagt er, resigniert und zugleich glücklich, seine Bestimmung gefunden zu haben. Der hoffnungslose Showdown zeigt, was der Philosoph Charles Taylor eine Malaise der Moderne genannt hat: den Verlust der heroischen Lebensdimension. Was nützt ein Held in einer Zeit, die keine Muskelkraft und Schwerter mehr braucht?

Prinz Lir hat dasselbe Problem wie die Industriearbeiter und Soldaten der Schreibtischwelt. Zuletzt liegt er geschlagen im Sand.

9) Nicht jedes Herz lässt sich gewinnen

Das Einhorn, im Original gesprochen von Mia Farrow, ist eine großäugige Schönheit – und ist sich dessen bewusst. Seine Obsession mit der eigenen Art und ihrer Besonderheit ist nicht nur sympathisch. Das Einhorn ist eitel. In Mommys Menagerie spricht es von den übrigen gefangenen Tieren als „Schatten“, die die Hexe ruhig behalten könne.

Als das Einhorn zur Menschenfrau geworden ist, verliebt sich der junge Recke Lir in sie. Er versucht, die Schöne als Drachentöter zu beeindrucken, ohne Erfolg. Nicht jedes Herz lässt sich erobern. Und als es ihm zuletzt doch beinahe gelingt, ist es Zeit, dass sich die Frau wieder in ein Einhorn zurückverwandelt. Glück darf niemals einkehren. Dass man das Einhorn in seiner Frauengestalt übrigens einmal nackt sieht, hat in den USA offenbar eine Generation Trickfilmfans traumatisiert.

10) Das Leben versehrt

Die Einhörner sind befreit, der traurige König Haggard ist tot, doch von einem echten Happy End kann keine Rede sein. In seinen Wochen in Menschengestalt hat das unsterbliche Einhorn Liebe und Leid kennengelernt, die Schmerzen und Mühen des Menschseins. Für immer wird es diese Erfahrung als Versehrung mit sich tragen.

Dieser Text ist zuerst im „Tagesanzeiger“ erschienen.

Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WELT die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Figaro“ aus Frankreich, „Gazeta Wyborcza“ aus Polen, „Le Soir“ aus Belgien sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Tages-Anzeiger“ an.

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