Die vergangenen ein bis zwei Jahre waren von erstaunlichen Veränderungen geprägt. Wir haben den Aufstieg neuer politischer Persönlichkeiten und Parteivorsitzender erlebt, und seither diskutiert die Öffentlichkeit kontrovers über sie. Eine dieser Persönlichkeiten ist Frauke Petry, die auch mich seit einer Weile ins Grübeln bringt.

Adania Shibli ist eine palästinensische Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie lebt zwischen Berlin und Jerusalem und ist Gastautorin bei "10 nach 8". © privat

Ich grüble über die Menschen, die sie als visionäre Politikerin sehen. Ich denke nach über diese Frau, die auf Gefahren und Bedrohungen durch muslimische Migrant_innen hinweist und all die anderen skeptisch beäugt, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen. Eine Frau, die die Vision eines ethnisch homogenen Deutschlands propagiert und damit Erinnerungen an ein dunkles Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte wachruft. Schon oft habe ich mir Gedanken über Frauke Petrys politische Vision gemacht, doch eigentlich interessiert sie mich als Person noch mehr. Denn es gibt nicht nur Unterschiede zwischen uns beiden.

Zum einen sind Frauke Petry und ich gleichalt. Und das vermittelt mir das irrationale Gefühl, dass wir durch die globalen Erfahrungen der letzten Jahrzehnte miteinander verbunden sind. Außerdem sind unsere Namen rhythmisch gesehen fast komplementär, und wir haben beide einen Hang zur Kurzhaarfrisur.

Warum nehmen wir die Welt so unterschiedlich wahr?

Das sind winzige Details, zugegeben. Doch sie reichen aus, um meinerseits ein Gefühl der Nähe zu Frauke Petry herzustellen. Mit Blick auf die enormen Gegensätze in unseren Weltbildern ist das einigermaßen verblüffend. Und deshalb frage ich mich immer wieder: Was war für uns beide, für sie und mich, so prägend, dass wir unsere Umwelt heute so unterschiedlich wahrnehmen? Was hat unsere Visionen von der Welt, in der wir leben wollen und unser gesellschaftliches Engagement in derart unterschiedliche Richtungen gelenkt? Mir sind drei sehr persönliche Erfahrungen eingefallen.

Die erste liegt weit zurück. Es ist der Moment, in dem ich mich zum ersten Mal für die Menschen außerhalb meiner unmittelbaren Umgebung interessierte. Der Moment, in dem mein soziales Bewusstsein Formen annahm. Es war 1983 und ich war etwa neun Jahre alt, als ich in den Nachrichten von der Dürre in Äthiopien hörte. Das Bild der vor Durst rissigen Erde verfolgt mich bis heute. Diesem Bild stand der Alltag in Palästina gegenüber, wo Wasser ebenfalls knapp war und noch immer ist, vor allem aus landwirtschaftlicher Perspektive.

Deutschland ist eher bedroht von der Flut

Für eine Bauernfamilie wie unsere war Wasser schon immer lebenswichtig. Vom Wasser hing es ab, ob das Einkommen für ein ganzes Jahr gesichert war oder verloren ging. Es bedeutete Leben für die Mandelbäume in unserem Garten oder ihr Verdörren. Das völlige Ausbleiben des Regenwassers in Äthiopien war ein erschreckender Gedanke gemessen an den unbestimmten Befürchtungen in Palästina. Es war etwas, das Menschen den Tod brachte, während es sich bei uns lediglich um eine alltägliche Sorge handelte. Ich frage mich, wie Frauke Petry wohl auf die Dürre in Äthiopien reagierte, als sie in meinem Alter war. Wie sie die Situation empfand, da sie im verregneten Deutschland lebte, wo nicht der Mangel an Wasser, sondern eher dessen Überfluss todbringend sein kann.

Die zweite Erfahrung hat mit Sprache zu tun, mit einer Fremdsprache, um genau zu sein. Als Jugendliche beschäftigte mich die Frage sehr, was es bedeutet, nicht recht in die Gesellschaft zu passen, in der man lebt. Als ich 13 war, schickten meine Eltern mich in ein Feriencamp, in dem fast alle Kinder Israelis waren. Bei einem Gespräch mit ein paar anderen sah mich ein Mädchen namens Einav an und sagte mit ruhigem Lächeln: Araber sind menuvalim. Mein Hebräisch war damals ziemlich schlecht, ich übersetzte es mit einem ähnlichen arabischen Wort. Es bedeutete "edel". Ich lächelte zurück, auch wenn ich mir unsicher war. Ein anderes israelisches Mädchen, das später meine Freundin wurde, fragte mich, wie ich nach einer solchen Beleidigung lächeln könne. Als ihr klar wurde, dass ich gar nichts verstanden hatte, erklärte sie mir die wahre Bedeutung des Wortes: verachtenswert. Ich hörte auf zu lächeln, und mein Blick wurde leer. Ich fragte mich, wie die 13-jährige Einav sämtlichen Araber_innen der Welt begegnet sein konnte, um die Schlussfolgerung zu ziehen, die sie zog.